Die neurologischen Voraussetzungen des Mathelernens

Zahlen im Gehirn

Wie ermöglicht es uns unser Gehirn, Mathematik zu lernen?

Das erste Kernsystem: ungefähre Anzahlen wahrnehmen

Höchstwahrscheinlich haben Sie bemerkt, dass ein Bild mehr Punkte hat als die anderen.

Experimente mit Kleinkindern (unter 2 Monate) haben bewiesen, dass bereits Babys einen Unterschied bei Anzahlen wahrnehmen, die im Verhältnis 2:1 stehen.

Wenn sie z. B. mit einer Folge von Bildern gelangweilt werden, die jeweils 8 Gegenstände zeigen, reagieren sie auf ein Bild mit 16 Gegenständen mit Interesse. Ein Bild mit 12 Gegenständen löst diese Reaktion dagegen nicht aus.

Mit zunehmendem Alter verbessert sich diese spontane Unterscheidungsfähigkeit. Bei Erwachsenen beträgt sie 8:7. Demnach sticht in einer Folge von Bildern mit 20 Gegenständen bereits ein Bild mit 23 Gegenständen hervor.

Das obige Beispiel zeigt vier Mal die Anzahl 20 und einmal die Anzahl 30.


Das zweite Kernsystem: Subitisieren

Untersuchungen mit Babys (unter 2 Monate) haben gezeigt, dass diese bereits über die Fähigkeit verfügen, eine kleine Anzahl exakt zu bestimmen und kurzzeitig im Kopf abzubilden.

Dieses sofortige Erkennen einer kleinen Anzahl ohne zu zählen wird als Subitisieren bezeichnet.


Addition und Subtraktion in konreten Fällen

Bereits sechs Monate alte Kinder verfügen über die Fähigkeit, die Ergebnisse von praktisch durchgeführten Additions- und Subtraktionsaufgaben zu erwarten. Legt man z. B. zwei Bälle (für die Kinder sichtbar) zu einem dritten Ball (für die Kinder unsichtbar) hinter einen Sichtschutz und holt einen hervor, reagieren die Kinder irritiert, wenn nach Entfernen des Sichtschutzes zwei Bälle zum Vorschein kommen.

Dagegen sind die Kinder nicht verblüfft, wenn zwei weiße Bälle hinter den Sichtschutz gelegt werden, einer wieder hervorgeholt wird und der zweite Ball nach Entfernen des Sichtschutzes plötzlich rot ist. Die Kinder reagieren somit tatsächlich auf die Anzahl der Objekte.

Diese Experimente funktionieren nur im Zahlenbereich des Subitisierens, also bei 1, 2 oder 3 Gegenständen.


Das akustische Gedächtnis

Wir Menschen haben ein ausgezeichnetes akustisches Gedächtnis. Es fällt uns deshalb leicht, Wortfolgen auswendig zu lernen – sogar, wenn sie für uns sinnlos erscheinen.

Wenn wir als Kinder die Folge der Zahlwörter lernen – "einsweidreifirfünfseksibn…" –, macht sie auch noch wenig Sinn. Erst später beginnen wir, diese Geräuschkette in einzelne Wörter aufzutrennen, die nach und nach mit Sinn gefüllt werden. Dabei hilft uns die nächste Fähigkeit.


Gedankliches Markieren von Gegenständen

Betrachten Sie die Punkte aufmerksam.

Auch wenn alle Punkte nach einer Weile wieder gleich aussehen, haben einige von Ihnen eine anderen „Qualität“. Die Fähigkeit, Objekte gedanklich zu markieren, ermöglicht uns erst das fehlerfreie Zählen.

Damit ein Kind lernen kann, dass die gezählte Zahl einer Anzahl entspricht, ist es nötig, dass Anzahleindruck und Zählergebnis übereinstimmen (erstes und zweites Kernsystem). Das gilt zumindest für den kleinen Zahlenraum bis 6 oder 7. Die so erfahrene Eigenschaft von Zählergebnissen wird dann Stück für Stück auf alle Zahlen verallgemeinert.


Darstellung von Zahlen im Gehirn

In unserem Gehirn gibt es Bereiche, sogenannte „Module“, die für Zahlen zuständig sind.
Man unterscheidet dabei:

  • das sprachlich-alphabetische Modul (für gesprochene und als Wort geschriebene Zahlen)
  • das visuell-arabische Modul (für Zahlen, die aus Ziffern zusammengesetzt sind)
  • das semantische Modul (für die Verarbeitung des „Sinns“ der Zahlen)

Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren sowie Beobachtungen an Patienten mit Hirnschäden haben ergeben, dass diese drei Module im Gehirn räumlich voneinander getrennt sind.

Erleben Sie die Module selbst:

1. Nehmen Sie die Zahl 20

--> Sicher hatten Sie beim Lesen der Ziffern gleichzeitig das Wort Zwanzig im Kopf. Das visuell-arabische Modul hat hier das sprachlich-alphabetische aktiviert.


2. Nehmen Sie nun die Zahl Dreißig

-->Höchstwahrscheinlich hatten Sie diesmal die Ziffern gedanklich vor Augen. Diesmal hat das sprachlich-arabische Modul das visuell-arabische aktiviert.


3. Achten Sie auf die Anzahl


--> Natürlich sind das keine zwölf Punkte, wie Sie sofort sehen können.

Hier gibt es einen Widerspruch zwischen den Inhalten des semantischen Moduls und den Inhalten des visuell-arabischen Moduls.

 


4. Achten Sie erneut auf die Anzahl

--> Diesmal widersprechen sich die Inhalte von semantischen und sprachlich-alphabetischem Modul.



Haben Sie gemerkt, dass alle Module miteinander in Verbindung stehen?

Jedes Mal, wenn wir eine Zahl lesen oder hören, und jedes Mal, wenn wir eine Anzahl von Objekten sehen, werden alle drei Module in Gang gesetzt.

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