Ein Einblick in die Herausforderungen

Mit den Augen der Dyskalkulie

Starten Sie bitte das Video und beobachten Sie einen Moment die Schulbuchseite. 
Ihnen wird auffallen, dass sich auf der Seite einiges ändert.

Streit entsteht oft durch Missverständnisse!

…so sehen Kinder mit Dyskalkulie eine Schulbuchseite des Faches Mathematik!

Die vorliegende Seite hat sich wie folgt verändert:

  • Die Zahlen in der Hundertertafel verloren ihre Bedeutung.
    Sie konnten den Symbolen, die Sie gesehen haben, plötzlich keine weitere Bedeutung mehr beimessen. Rechenschwache Kinder messen Zahlen ebenfalls keine Bedeutung bei.
  • Die Textaufgaben wurden sinnlos.
    Wenn Sie sich ganz scharf auf die veränderten Texte konzentrieren, gelingt es Ihnen, die Aufgabe zu erfassen. Falls Sie die Aufgaben oberflächlich lesen, können Sie trotzdem möglicherweise die geforderten Rechenaufgaben erraten. Nur wenn sich rechenschwache Kinder ganz scharf auf Aufgabentexte konzentrieren, können sie diese auch erfassen. Die Rechenaufgabe wird mehr erraten als richtig gelesen.
  • Den Ziffern in den Rechenaufgaben können keine eindeutigen Positionen zugeordnet werden.
    So lesen sich mehrstellige Zahlen für ein Kind, das Zahlendreher macht. Die Erfassung der Ziffern selber gelingt, aber die Positionen können nur schwer erfasst und nachhaltig zugeordnet werden. Ständig muss ein betroffenes Kind auf die Zahlen blicken, um sich der Positionen zu vergewissern, aber es kann sich diese nicht merken.
  • Die Aufgaben sind nicht mehr ordentlich angeordnet.
    Durch diesen Effekt soll simuliert werden, wie sich mangelnde räumliche Fertigkeiten auf die Betrachtung von Anordnungen auswirken. Kinder, die im räumlichen Denken Probleme haben, erfassen relative und absolute Positionen nicht so mühelos. Durch die Unordnung in den Anordnungen wird simuliert, wie sich solche Probleme auf die allgemeine Wahrnehmung auswirken.

Für Sie

… ist es nur eine Schulbuchseite.

Ein rechenschwaches Kind

… muss diese Art von Mathematik gegebenenfalls jahrelang aushalten, bevor die wahre Ursache seines „Nicht-so-gut-rechnen-Könnens“, eine vorliegende Dyskalkulie, entdeckt wird.

Wie ermöglicht es uns unser Gehirn, Mathematik zu lernen?

Die neurologischen Voraussetzungen des Mathelernens

Das erste Kernsystem: ungefähre Anzahlen wahrnehmen

 Höchstwahrscheinlich haben Sie bemerkt, dass ein Bild mehr Punkte hat als die anderen.

Experimente mit Kleinkindern (unter 2 Monate) haben bewiesen, dass bereits Babys einen Unterschied bei Anzahlen wahrnehmen, die im Verhältnis 2:1 stehen.

Wenn sie z. B. mit einer Folge von Bildern gelangweilt werden, die jeweils 8 Gegenstände zeigen, reagieren sie auf ein Bild mit 16 Gegenständen mit Interesse. Ein Bild mit 12 Gegenständen löst diese Reaktion dagegen nicht aus.

Mit zunehmendem Alter verbessert sich diese spontane Unterscheidungsfähigkeit. Bei Erwachsenen beträgt sie 8:7. Demnach sticht in einer Folge von Bildern mit 20 Gegenständen bereits ein Bild mit 23 Gegenständen hervor.

Das obige Beispiel zeigt vier Mal die Anzahl 20 und einmal die Anzahl 30.

 

Das zweite Kernsystem: Subitisieren

Untersuchungen mit Babys (unter 2 Monate) haben gezeigt, dass diese bereits über die Fähigkeit verfügen, eine kleine Anzahl exakt zu bestimmen und kurzzeitig im Kopf abzubilden.

Dieses sofortige Erkennen einer kleinen Anzahl ohne zu zählen wird als Subitisieren bezeichnet.

Addition und Subtraktion in konreten Fällen

Bereits sechs Monate alte Kinder verfügen über die Fähigkeit, die Ergebnisse von praktisch durchgeführten Additions- und Subtraktionsaufgaben zu erwarten. Legt man z. B. zwei Bälle (für die Kinder sichtbar) zu einem dritten Ball (für die Kinder unsichtbar) hinter einen Sichtschutz und holt einen hervor, reagieren die Kinder irritiert, wenn nach Entfernen des Sichtschutzes zwei Bälle zum Vorschein kommen.

Dagegen sind die Kinder nicht verblüfft, wenn zwei weiße Bälle hinter den Sichtschutz gelegt werden, einer wieder hervorgeholt wird und der zweite Ball nach Entfernen des Sichtschutzes plötzlich rot ist. Die Kinder reagieren somit tatsächlich auf die Anzahl der Objekte.

Diese Experimente funktionieren nur im Zahlenbereich des Subitisierens, also bei 1, 2 oder 3 Gegenständen.

Das akustische Gedächtnis

Wir Menschen haben ein ausgezeichnetes akustisches Gedächtnis. Es fällt uns deshalb leicht, Wortfolgen auswendig zu lernen – sogar, wenn sie für uns sinnlos erscheinen.

Wenn wir als Kinder die Folge der Zahlwörter lernen – „einsweidreifirfünfseksibn…“ –, macht sie auch noch wenig Sinn. Erst später beginnen wir, diese Geräuschkette in einzelne Wörter aufzutrennen, die nach und nach mit Sinn gefüllt werden. Dabei hilft uns die nächste Fähigkeit.

Gedankliches Markieren von Gegenständen

Betrachten Sie die Punkte aufmerksam.

Auch wenn alle Punkte nach einer Weile wieder gleich aussehen, haben einige von Ihnen eine anderen „Qualität“. Die Fähigkeit, Objekte gedanklich zu markieren, ermöglicht uns erst das fehlerfreie Zählen.

Damit ein Kind lernen kann, dass die gezählte Zahl einer Anzahl entspricht, ist es nötig, dass Anzahleindruck und Zählergebnis übereinstimmen (erstes und zweites Kernsystem). Das gilt zumindest für den kleinen Zahlenraum bis 6 oder 7. Die so erfahrene Eigenschaft von Zählergebnissen wird dann Stück für Stück auf alle Zahlen verallgemeinert.

Darstellung von Zahlen im Gehirn

In unserem Gehirn gibt es Bereiche, sogenannte „Module“, die für Zahlen zuständig sind.
Man unterscheidet dabei:

  • das sprachlich-alphabetische Modul (für gesprochene und als Wort geschriebene Zahlen)
  • das visuell-arabische Modul (für Zahlen, die aus Ziffern zusammengesetzt sind)
  • das semantische Modul (für die Verarbeitung des „Sinns“ der Zahlen)

Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren sowie Beobachtungen an Patienten mit Hirnschäden haben ergeben, dass diese drei Module im Gehirn räumlich voneinander getrennt sind.

Erleben Sie die Module selbst:

1. Nehmen Sie die Zahl 20
Sicher hatten Sie beim Lesen der Ziffern gleichzeitig das Wort Zwanzig im Kopf. Das visuell-arabische Modul hat hier das sprachlich-alphabetische aktiviert.

2. Nehmen Sie nun die Zahl Dreißig
Höchstwahrscheinlich hatten Sie diesmal die Ziffern gedanklich vor Augen. Diesmal hat das sprachlich-arabische Modul das visuell-arabische aktiviert.

3. Achten Sie auf die Anzahl
Natürlich sind das keine zwölf Punkte, wie Sie sofort sehen können.

Hier gibt es einen Widerspruch zwischen den Inhalten des semantischen Moduls und den Inhalten des visuell-arabischen Moduls.

4. Achten Sie erneut auf die Anzahl

Diesmal widersprechen sich die Inhalte von semantischen und sprachlich-alphabetischem Modul.

Haben Sie gemerkt, dass alle Module miteinander in Verbindung stehen?
Jedes Mal, wenn wir eine Zahl lesen oder hören, und jedes Mal, wenn wir eine Anzahl von Objekten sehen, werden alle drei Module in Gang gesetzt.

So rechnet das Gehirn

Was läuft bei 4 + 6 normalerweise im Kopf ab?

„Bei 4 + 6 tust du von der 6 einfach einen hinüber zur 4,
dann hast du 5 + 5, und das ergibt 10.“

Die mündliche Aufgabe 4 + 6 wird ohne unser Zutun um weitere Assoziationen angereichert.

Wir sehen vor unserem geistigen Auge die Rechenaufgabe in Ziffernform
Wir haben schon eine gefühlte Größenvorstellung: wir wissen, wie 4 bzw. 6 Objekte anzahlmäßig ungefähr aussehen
Wir können die Größenordnung des Ergebnisses bereits abschätzen, ohne zu rechnen. Zum einen sehen wir vor unserem geistigen Auge die Rechenaufgabe in Ziffernform, zum anderen empfinden wir eine Art gefühlte Größenvorstellung: wir wissen, wie 4 bzw. 6 Objekte anzahlmäßig ungefähr aussehen und können daher bereits die Größenordnung des Ergebnisses abschätzen, ohne zu rechnen.

Vor dem inneren Auge entsteht in etwa folgende Vorstellung.
Spricht man nun von „einen rüber tun“, so kann ein geübter Rechner auf diese automatische Assoziation mit den Mengenvorstellungen zurückgreifen.
Die Verschiebung ändert die Aufgabe in 5 + 5, wobei die Handlungsvorstellung die Veränderung der 6 zur 5 (Assoziation: „weniger werden“) und der 4 zur 5 (Assoziation: „mehr werden“) stützt.

Das Ergebnis von 5 + 5 kann dann aus dem Gedächtnis abgerufen werden.

Schulberatung

Kompetente, freundliche und individuelle Beratung

Die Mildenberger-Schulberater stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Sie möchten eine Fortbildung veranstalten? Sie benötigen ein Prüfexemplar für eine Neueinführung? Sie brauchen genauere Informationen zu einem Artikel? Setzen Sie sich mit dem Schulberater Ihres Bundeslandes oder Ihres Landkreises in Verbindung. Ihre Anfrage wird schnellstmöglich bearbeitet.

Welche Voraussetzungen benötigt also ein Kind, um Mathematik zu lernen?

1. Zahlverständnis
= das Wissen, dass eine Zahl nicht nur das Ergebnis des Zählens ist (1, 2, 3, 4), sondern dass dieses Ergebnis (z.B. 4) auch eine Menge darstellt.

2. Räumliche Konzepte
= das Wissen von räumlichen Lagen wie „vor, hinter, zwischen, neben …“ zum Vorstellen und Beschreiben von Situationen. Dazu braucht es Erfahrung im Umgang und mit der Wahrnehmung von räumlichen Situationen.

3. Handlungskonzepte
= die Fähigkeit, sich Handlungen im Kopf vorzustellen. Ein Kind, das sich Handlungen nur dann vorstellen kann, wenn es diese tatsächlich ausführt (oder zumindest die Startsituation vor Augen hat), wird auch Erklärungen immer nur mit Anschauungsmaterial nachvollziehen können.
Von einem Kind, welches der Erläuterung folgen soll, wird erwartet, dass es unter anderem folgende Leistungen erbringt (Zahlverständnis, räumliche Konzepte, Handlungskonzepte:

Zu den Zahlen 6 und 4 soll es sich vorstellen, dass es sich um Eigenschaften von vorliegenden Mengen handelt, die man, wenn nötig, erzeugen kann.

Es muss sich, um eine Handlung nachvollziehen zu können, zuerst die Ausgangssituation der Handlungen vorstellen können: zwei Mengen, die z. B. nebeneinander liegen.

Es wird ein Handlungsablauf beschrieben: „Einen“ von der 6 zur 4 zu tun ist in Wirklichkeit eine Art Doppelhandlung, bei der zuerst die eine Menge verringert, dann die andere Mengevergrößert wird. Es handelt sich also nicht nur um eine einfache Handlung, sondern um eine zusammengesetzte Handlung.

Diese Operation macht aber nur Sinn, wenn die wesentliche betrachtete Eigenschaft der an den Handlungen beteiligten Mengen (die Gesamtanzahl) erhalten bleibt. Die Tatsache, dass dies so ist, ist sowohl eine Eigenschaft der Gesamthandlung (aber nicht der Teilhandlungen!) als auch der beteiligten Mengen.

Das Förderheft

Die Produkte zur Förderung

Mit diesem Übungsheft werden gezielt diejenigen Voraussetzungen gefördert, die ein Kind benötigt, um Mathematik optimal zu lernen und verstehen zu können.

So können Kinder mit Rechenschwäche mathematisches Grundverständnis aufbauen, ohne dass der Umgang mit Zahlen und Zeichen bedeutungslos bleibt.

Das Förderheft Mathematik 1

Das Förderheft Mathematik 2

Das Förderheft Mathematik 3

Das Förderheft Mathematik 4